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Raumdesign für kreative Kollaboration

„Räume sollen befähigen!“

Wie kreative Kollaboration im Raum und der Raum auf kreative Kollaboration wirkt. Ein Workshop-Gespräch mit Arne Schultchen, Gründer von dfhn.

Ganz kurz: Wie wohnt eigentlich kreative Kollaboration?

AS: Mit vielen Gästen an einem runden Tisch. Kürzer geht es nicht.

Die etwas längere Fassung?

AS: Das Wesen von kreativer Kollaboration ist äußerst gastfreundlich. Es will viele unterschiedliche Menschen nahe und vertrauensvoll zusammenbringen, um gemeinsame Vorhaben gemeinsam zu gestalten. Das ist sein Zweck. Daher lädt es ein an einen runden Tisch mit freier Platzwahl. So fühlen sich alle gleich willkommen und wertgeschätzt.

Und die Wirkung?

AS: Kreative Kollaboration weiß, dass Gäste sehr unterschiedliche Charaktere, Fähigkeiten und auch Eitelkeiten haben. Sie möchten Gemeinschaft, suchen aber auch individuellen Freiraum. Sie wollen Dynamik und Bewegung, aber auch Rückzug und Ruhe. Das ist zu moderieren. Im Ideal entsteht ein gemeinsamer Rhythmus, fast schon ein Flow-Erleben. Dann braucht es keine Moderation mehr.

Gibt es Bilder?

AS: Faszinierend sind alle Bilder, die uns in biologische und neuro-biologische Welten führen. Es sind die „kollaborativsten Orte“, die man sich überhaupt vorstellen kann. Ebenso beeindruckend sind spielende Kinder. Wenn sie eine „brauchbare“ Umgebung haben, entstehen gemeinsam unschlagbare Ideen. Und alle stehen dahinter!

Und etwas konkreter?

AS: Als Designer suchen wir nach plakativen und vereinfachenden Darstellungen. Unsere Denkmuster für kreative Kollaboration haben wir zum Beispiel in den sensationellen Illustrationen von Paul Sougy wiederentdeckt. Er illustrierte in den 1950er Jahren Natur- und Anatomiestudien. Seine Darstellungen von organischen Strukturen und hochlebendigen Prozessen begeistern noch heute. Sie wurden auf großformatigen Lehrkarten für den Schulunterricht genutzt – eine davon hängt bei uns im Studio.

Wie verkörpert man kreative Kollaboration im Raum?

AS: Für unsere Offsite-Location auf der Elbe haben wir schon vor zwölf Jahren unsere ideale Kollaborationsumgebung entwickelt: Ein zentraler runder Tisch, vier Multifunktionswände auf Rollen, ein langer Stehtisch und 14 Hocker. Und zwei Lounge Chairs von Castiglioni & Laviani, die mussten sein.

Mit dieser modularen Umgebung haben wir unzählige Workshops erfolgreich gestaltet. Es ist fast schon verrückt: Die Gegenwart der Module gibt uns das Vertrauen, dass der Raum unseren Prozessen folgt. Sobald man zum Beispiel an einer der fahrbaren Tafelwände zu arbeiten beginnt, ist klar, dass auch die nächste in den Prozess gezogen wird. Dann die übernächste.
Das Besondere: Der räumliche Eintritt eines neuen Elements in das Geschehen befähigt immer zu einem Übergang, einem Entwicklungsschritt im Prozess. Sich sammeln, neu öffnen, neu ausrichten. Oder wenn man die Multifunktionswände in individuelle Workstations verwandelt, dreht sie jeder in seine ideale „Arbeitsposition“. Ist dieses kleine Manöver geglückt, herrscht nichts als konzentrierte Ruhe. Das Raumdesign ist Teil des Prozesses geworden, in dem wir uns bewegen. Wir finden übrigens FLOW heute mehr denn je einen passenden Namen für unseren Ort.

Woran wird heute konkret gearbeitet?

AS: Aktuell arbeiten wir an neuen Möbel-Modulsystemen für die Projektarbeit. Im Mittelpunkt steht die Aufgabe: Wie kann das Raumdesign den Ablauf von Innovations- und Transformationsprojekten – oft mit komplexem und interdisziplinärem Charakter – mitgestalten? Die Erwartungshaltung an das Gelingen dieser Vorhaben ist oft sehr hoch. Uns geht es darum, die räumliche Umgebung so zu gestalten, dass diese zum stimulierenden, kreativen Partner der Prozesse wird.

Was ist neu oder anders?

AS: Das Neue ist vielleicht gar nicht so sehr die individuelle Funktionalität jedes einzelnen Moduls. Es ist vielmehr das Zusammenwirken unterschiedlicher Module mit dem menschlichen Verhalten im Raum: Vom Stehen zum Sitzen zum Liegen, vom Vorlehnen zum Zurücklehnen, vom Zueinander hin zum Voneinander weg, vom Überblick in den Raum zum Blick nach draußen. Es soll Projektteams befähigen, ihre Vorhaben einerseits strukturiert, andererseits aber auch spontan, situativ und spielerisch zu entwickeln. Beides ist uns gleich wichtig.

Wir erreichen dieses, indem Projekte und ihre Abläufe nicht nur im Kopf stattfinden, sondern im wahrsten Sinne des Wortes auch in die Hand genommen werden. Wir wollen, dass unsere Raummodule geschoben, gedreht, gewendet, verändert und umgewidmet werden. Unsere These ist: Je mehr sie angefasst werden, um so besser geht es den Menschen im Prozess. Und damit natürlich auch dem Projekt – Räume sollen befähigen!

Wie bemisst man den Beitrag eines Raummodul-Systems?

AS: Er wird immer zuallererst von den Menschen abhängen, von ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, Raum und Prozess als dynamische Einheit zu erkennen und zu erleben. Man könnte es vielleicht Mensch-Raum-Empathie nennen. Das Wichtigste ist: Manche trauen sich, Dinge, Möbel, Räume in die Hand zu nehmen, andere müssen es erst lernen. Wir haben gelernt, dass gerade hier die größte Befreiung liegt, zu erleben, dass man sich einem Raum nicht ergeben muss, sondern ihn selber in Bewegung setzen und nutzen will.

Wir denken, dass heute noch immer viel zu oft viel zu viel Energie allein dafür verloren geht, Projektarbeit in uninspirierter räumlicher Umgebung auszuhalten. Nicht zuletzt deswegen ist Raumdesign für kreative Kollaboration ein hochinteressanter Forschungsgegenstand: Wie organisieren sich Menschen in einer „befähigenden“ Umgebung? Wie entwickeln sich neue Verhaltensmuster, die uns zu neuen Gestaltungsmustern führen? Wie entsteht eine ideale Prozess-Choreografie im Raum? Wie lassen sich digitale, virtuelle Prozesswelten integrieren? Und natürlich auch: Was sind spürbare und messbare Beiträge zum Projekterfolg?

Wie geht es weiter?

AS: Wir wollen den Blick auf das Thema immer weiter öffnen. Er ist ja nicht nur von hoher Bedeutung für unsere Arbeitsumgebung. So beschäftigen wir uns aktuell mit einem modularen Raumdesign für zeitgemäßes und zukunftsorientiertes Lernen in Schulen. Ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, denn die digitalisierte Welt führt nicht nur zu einem inhaltlichen und organisatorischen Paradigmenwechsel im Unterricht, sondern braucht gleichermaßen ein Umdenken in der räumlichen Lernumgebung.

Auch vor diesem Hintergrund wollen wir unsere Designsysteme mit Blick auf intelligente, digitale Anwendungs- und Vernetzungsmöglichkeiten untersuchen und planen, eine begleitende wissenschaftliche Studie gemeinsam mit einer Hochschule und Partnern aus der Unternehmenswelt zu initiieren.

Wir sind überzeugt, dass neue, herausfordernde und befähigende räumliche Prozess-Umgebungen die Intensität und Effektivität von kreativer Kollaboration nachhaltig positiv beeinflussen. Weil sie verbinden, vereinen und weil sie einfach Spaß machen. Oder ganz kurz: Viele Menschen mit viel Freude viel in Bewegung für viele gemeinsame Ideen an vielen runden Tischen!